05.06.2018

Finance Business Next

Entscheider benötigen ein tieferes Verständnis für die Blockchain

05.06.2018  | Axel Apfelbacher

Im Interview erläutert Axel Apfelbacher, Vorstand der niiio finance group AG und international anerkannter Blockchain-Experte, in welchen Fällen die Anwendung der Blockchain-Technologie sinnvoll ist, was den Erfolg gefährden kann und welche disruptiven Veränderungen es geben könnte. Außerdem entlarvt er einige Mythen.

Das „Handelsblatt“ schreibt kürzlich in einem Artikel, dass „Banken, Unternehmensberater und Großkonzerne Milliarden investieren, um mit der Blockchain alle möglichen Transaktionen schneller, einfacher und sicherer zu machen“ [1].  Können Sie uns als Experte, der sich schon viele Jahre mit dem Thema Blockchain auseinandersetzt, bitte erklären: Wie werden sich diese Investitionen amortisieren?

Es gibt drei Hauptbereiche, über die Banken und Börsen ihre Investitionen amortisieren wollen. Erstens gibt es die Erwartung und das Versprechen, dass eine komplett neue Trading- und Settlement-Infrastruktur auf Basis der Blockchain-Technologie zu enormen Kosteneinsparungen in Vergleich zur heutigen Infrastruktur führt.

Zweiter Aspekt ist die Frage der Marktdurchdringung und des Umsatzes. Jeder Marktteilnehmer hat Angst, dass durch solch eine neue Settlement-Maschine eine Neuverteilung der Marktanteile stattfinden könnte. Daher befassen sich praktisch alle aktuellen Marktteilnehmer, aber auch mögliche neue Wettbewerber, mit dem Thema Blockchain, weil sie darin einen Nutzen für sich sehen, sich in diesem Markt zu betätigen oder dies zukünftig zu tun.

Zum dritten gibt es die Erwartung, dass es mit der Blockchain-Technologie möglich sein wird, Geldströme handelbar zu machen, die in der Vergangenheit nicht handelbar waren, so dass sich neue Finanzinstrumente entwickeln werden. Das ist interessant für Unternehmen, die ihr aktuelles Angebot erweitern wollen, indem sie neue Assetklassen generieren und diese dann ihren Endkunden anbieten.

Wie erklären Sie für Nicht-Banker und Nicht-Börsianer „Settlement-Maschine“?

Das ist eine Maschine bzw. eine Anwendung, die eine aktuelle Zuordnung von Vermögensgegenständen zu Identitäten sicherstellt und diese gleichzeitig transparent für alle Beteiligten dokumentiert.

Das Thema Blockchain ist buchstäblich in aller Munde. Wird die Blockchain-Technologie überhaupt richtig verstanden? Inwieweit ist das Verständnis für das Konzept der Blockchain bei den relevanten Entscheidern vorhanden?

Ja, das Buzzword Blockchain findet wirklich weite Verbreitung. Ein Basiswissen, was sich genau hinter der Blockchain-Technologie verbirgt, ist nach meiner Einschätzung bei denjenigen, die wirklich über einen Einsatz der Technologie entscheiden, nur in geringem Maße vorhanden. Da wird sehr allgemeinen Konzepten geglaubt, die der Blockchain-Technologie geradezu Wunderdinge zuschreiben. Abgeleitete Begriffe, wie „Blockchain-Datenbank“, verwendet jeder für seine internen oder externen Präsentationen, um das Interesse der Manager und Entscheider hoch zu halten. Aber ein vertieftes Verständnis darüber, was mit der Blockchain-Technologie machbar, oder eben gerade nicht machbar ist, erkenne ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.

Inwieweit ist das fehlende Know-how eine Gefahr für den Erfolg der Blockchain-Technologie?

Die Frage ist, was als Erfolg definiert wird. Wenn am Ende eine neue Infrastruktur für Finanzdienstleistungen entsteht, wo zwar Blockchain draufstand, aber dann doch keine Blockchain zur Anwendung kommt, dann haben wir ja trotzdem die gewollte Änderung herbeigeführt.

Das Risiko bei einer neuen Technologie ist viel eher, dass bei der Implementierung wesentliche Sicherheitsfaktoren unberücksichtigt bleiben. Die Gefahr ist, dass das fehlende Fachwissen über die Blockchain-Technologie erst im Nachhinein zu Erkenntnissen darüber führt, was man hätte anders machen müssen.

Diese Problematik erleben wir gerade bei der Internet-Technologie. Hier wurde zu Gunsten der Geschwindigkeit Fragen zur Sicherheit und Identitätswahrung zurückgestellt. Jetzt wird festgestellt, dass es schwierig ist, diese Dinge im Nachhinein einzubauen und ein ähnliches Szenario ist auch bei Blockchain-Infrastrukturen denkbar.

Warum lohnt sich eine Beschäftigung mit der Blockchain-Technologie? Und welche Hemmnisse stehen dem Erfolg der Blockchain-Technologie entgegen?

Aus meiner Sicht ist es sinnvoll sich mit der Blockchain zu beschäftigen und auch Ressourcen zu investieren, um einen Einblick zu bekommen, ob und wie das Versprechen einer neuen Infrastruktur für das Finanzwesen erfüllt werden kann. Es geht auch um das Verständnis dafür, wo es nicht sinnvoll ist, die neue Technologie einzusetzen.

Hemmnisse sind sicherlich das fehlende technologische Know-how. Die Frage, was die Transparenz der Daten in einer Blockchain bewirkt, ist noch nicht abschließend beantwortet. Es gibt gute Gründe, anders als bei der Bitcoin-Blockchain, keine völlige Transparenz über alle Transaktionen einzufordern. Zudem gibt es organisatorische und kulturelle Hürden in vielen Unternehmen. Deren funktionale Organisation führt auch zu einer entsprechenden Datenhaltung in Datensilos, was dem Grundkonzept der Datenhaltung in einer Blockchain widerspricht. Schließlich fehlt ein weithin akzeptierter Standard für die Blockchain, so dass viele Unternehmen mit ihren Investitionen noch abwarten.

Welche kurzfristigen Einsatzmöglichkeiten sehen Sie für die Blockchain-Technologie? Mit welcher Anwendung für eine Blockchain befassen Sie sich aktuell?

Wir beschäftigen uns aktuell mit der Frage, ob und wie man den Transfer von Wertpapieren und Finanzinstrumenten über eine Blockchain abwickeln kann. Das hat wegen der vielen Regularien aber eher eine mittel- bis langfristiges Perspektive. Da die niiio finance group ein börsennotiertes Unternehmen mit Publizitätspflichten ist, kann ich hier nicht weiter ins Detail gehen.

Kurzfristige Einsatzmöglichkeiten für die Blockchain-Technologie sind zum Beispiel weit entwickelte Anwendungen für das Trade-Finance-Geschäft, wenn es also um die Finanzierung von Warenproduktion im Ausland und deren Transport in das Besteller-Land geht. Da gibt es Konsortien zwischen Banken, Versicherungen und Logistikern, die das „dokumentäre Geschäft“ über eine Blockchain organisieren wollen. Im Zahlungsverkehr, der ein anderes Regulierungsniveau als das Wertpapiergeschäft hat, gibt es weit gediehene Projekte. Diese betreffen zum Beispiel das Geld-Settlement zwischen Banken über eine Blockchain.

Bei welchen Themen wurde und wird durch die Blockchain-Technologie zu viel versprochen?

Bei allen Themen, bei denen es nicht um die Verwahrung und Verwaltung von Vermögensgegenständen oder um die Organisation von Abstimmungen geht. Die Blockchain-Technologie kann eigentlich nichts anderes. Mit dem Consensus-Algorithmus habe ich einen Mechanismus für die Abstimmung in einer Gemeinschaft. Außerdem kann ich mit einer Blockchain nachvollziehen, wer zu welchem Zeitpunkt welche Art von Vermögensgegenstand besessen hat.

Bei weiteren Anwendungsfällen, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden, erschließt sich mir nicht, welchen Nutzen ausgerechnet die Blockchain-Technologie hat und warum ihr Einsatz so intensiv beworben wird.

Die Blockchain-Technologie führe zu „disruptiven Veränderungen“ heißt es häufig. Inwieweit ist das aus Ihrer Sicht richtig?

Ich verstehe unter Disruption zum Beispiel eine Neuverteilung von Marktanteilen unter den bestehenden Wettbewerbern oder den Eintritt neuer Marktteilnehmer und eine anschließende Marktanteilsveränderung. Hierfür hat die Blockchain-Technologie definitiv das Potenzial. Mittels Blockchain-Technologie kann eine Nicht-Bank den Transfer von Vermögensgegenständen global organisieren, ohne auf das bestehende Banksystem zurückzugreifen.

Die Möglichkeit über eine Blockchain die eingangs erwähnte neue Settlement-Maschine zu etablieren, könnte zu disruptiven Veränderungen führen, weil sich Marktanteile massiv verschieben könnten und die bestehende Infrastruktur einfach keine Rolle mehr spielen könnte. Die Disruption kommt weniger aus der Technologie, sondern daher, dass ein bestehender Markt von neuen Wettbewerber unter Nutzung der Möglichkeiten neuer Technologie massiv verändert wird.

Wo werden Unternehmen und Privatpersonen in zehn Jahren künftig mit der Blockchain-Technologie in Berührung kommen?

Direkt werden Unternehmen und Privatpersonen auch 2028 kaum mit der Blockchain zu tun haben. Da gibt es meines Erachtens wenig Veränderung. Auch heute haben Bankkunden keinen Zugriff auf die Transaktions- und Datenbanklogik der Maschinen, die ihre Finanztransaktionen abwickeln. Ausreichend ist der Zugang zu den Systemen eines Dienstleisters, der sich aktuell Bank nennt, in denen ich Transaktionen anstoße. Möglicherweise funktionieren Transaktionen in zehn Jahren schneller und kosten weniger, wenn die Blockchain-Technologie genutzt wird. Aber bei der Usability ändert sich für die Endanwender voraussichtlich nur wenig.

Unlängst war auch zu lesen, dass „die revolutionäre Blockchain-Technologie [..] nachhaltiges Wirtschaften beflügeln [könnte], wenn es gelingt, ihren Stromhunger zu zügeln.“ [2] Brauchen wir also bei breiter Nutzung der Blockchain weitere Kraftwerke in Deutschland?

Diese Aussage bezieht sich meines Erachtens explizit auf den Consensus-Algorithmus, der sich auch „Proof of Work“ nennt und durch Bitcoin sehr bekannt geworden ist. Es gibt keine Notwendigkeit, eine nicht-öffentliche Blockchain mit solch einem Consensus-Algorithmus auszustatten. Es gibt andere geeignete Verfahren, die bei weitem nicht so rechenintensiv sind. Eine Blockchain in der realen Welt, abseits der Märkte für Kryptowährungen, wird garantiert keinen Proof-of-Work-Algorithmus verwenden und damit stellt sich auch die Frage nicht, wie ein gewaltiger Stromhunger befriedigt werden könnte.

Wie sind Sie eigentlich zu dem Thema Blockchain gekommen und wann war das?

Das war Anfang 2013 beim Sushi-Essen mit einem amerikanischen Professor und einem befreundeten Technologie-Unternehmer. Diese erzählten von Bitcoin und Kryptomärkten und der Blockchain-Technologie. Ich war skeptisch, ob sich für mich eine Beschäftigung mit dem Thema lohnt, bis ich verstanden habe, dass die Anwendung diese Technologie auf bestehende Vermögensgegenstände, also etwa Aktien, Autos oder Grundstücke, eine sehr fundamentale Innovation darstellt. Ich habe dann begonnen, mir ein privates Netzwerk von Technologie-Experten aufzubauen, denen ich meine Fragen stellten konnte und mit denen ich kontinuierlich über den Einsatz von Blockchain-Infrastruktur-Modellen diskutiere.

Und Ihnen macht das Thema immer noch Spaß?

Oh ja. Das ist wirklich der Fall und das wird auch so bleiben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Axel Apfelbacher